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POLYLOGE
Materialien aus der Europäischen Akademie für biopsychosoziale Gesundheit, Naturtherapien und Kreativitätsförderung – Eine Internetzeitschrift für „Integrative Therapie“

Ausgabe 29/2018

SEKSUELL HELSE I ET LIVSLANGT UTVIKLINGSPERSPEKTIV – eller kunsten å „komme ut“ gjennom hele livet.

THE ART OF COMING OUT THROUGHOUT LIFE. An integrative approach to sexual health with a lifespan perspective

Mette Aakerholm Gardell

DIE KUNST,  NACH DEM COMING OUT DURCH DAS LEBEN ZU KOMMEN. Ein integrativer Ansatz der sexuellen Gesundheit in der Lebensspanne
Ausgangspunkt dieses akademischen Textes war, dass mir eine Mitstudentin riet zukünftig keine LGBTQ (Menschen, die sich als lesbisch, schwul, bisexuell, trans und queer identifizieren) zu behandeln.
Indem ich mich mit 16 Jahren durch mein „Coming out“ als Lesbe bezeichnete und durch die Geschichte eines „wahren Selbst“ das einer homogenen Gruppe angehört, fühlte ich mich begrenzt und fast beengt, immer auf den Barrikaden, immer kämpfend. Psychische Phänomene wie Angstzustände, Panikattacken sowie Körper- und Rückenschmerzen waren Symptome, mit denen ich mich beschäftigte. Traurig und ohne Energie.
Der Standpunkt der Integrativen Therapie von Akzeptanz und Offenheit, inspirierte bald meine Mitstudenten und meine eigene Sichtweise. Ich begann die Sexualität mit mehr Neugierde und Bewusstsein darüber zu betrachten, wie sie meine Gesundheit und Identität beeinflusst hatte. Ich kam in Kontakt mit meinem Körper, meinen Sinnen, meinen Bedürfnissen und Grenzen. Es wurde mir bewusst, dass mein feministisch politisch geprägter Standpunkt, der stark von Freuds sexuellen theoretischen und psychoanalytischen Ideen beeinflusst war, gleichzeitig auch meine eigene persönliche Entwicklung und den Glauben an mich selbst in Zukunft gebremst hätte, mit einem Mangel an Kontrolle über meine eigene Sexualität. Der integrative Ansatz als ein interdisziplinäres, mehrperspektivisches Verfahren, mit einem systematischen Integrationsmodell öffnete mir die Augen und ich erkannte, dass ich mir darüber im Klaren sein musste, dass das was ich als sexuelle Gesundheit betrachtete, sich für meine zukünftigen Klienten und Klientinnen möglicherweise anders darstellen könnte. Es könnte sogar sein, dass sich meine eigenen Vorstellungen über sexuelle Gesundheit im Laufe der Zeit wandeln.
Die Entwicklung in der Lebensspanne, wie es die  Integrative Therapie sieht und wie  sich das auf unsere Sexualität auswirkt, veranschauliche ich anhand eines Beispiels aus der Definition der Sexualität durch die WHO und der Veränderung dieses Textes im Laufe der Zeit. Es zeigt deutlich, wie sich Zeit und Kultur auf unseren Umgang mit der Problematik auswirken. Ich stelle das Konzept der Identität aus einer integrativen Perspektive vor und untersuche wie sich das auf die persönliche sexuelle Identität, auf das Leben, die Interessen der Gesellschaft und die Konstellationen von Macht und Werten auswirkt.
Michel Foucault kritisiert  in der Geschichte der Sexualität den normativen Glauben, dass die Wahrheit in der Sexualität liegt. Er bemängelt, dass im Christentum die Beichte als Weg zum „wahren inneren Selbst“ bezeichnet wird und sieht das „Coming Out“ von sexuellen Minderheiten als ähnlichen Bekenntnisprozess. Und ich stimme zu: warum sollte man etwas gestehen, wenn man nichts falsch gemacht hat?
Ich erwähne weitere Forschung die zeigt, dass sowohl Therapeutinnen und Therapeuten als auch Klientinnen und Klienten Angst haben, Sexualität in den Sitzungen anzusprechen. Therapeutinnen und Therapeuten raten ihren Klienten oft Sexualtherapie aufzusuchen, anstatt sich mit dem Thema innerhalb der Psychotherapie zu befassen. Aber die Forschung zeigt auch, dass Menschen oft wegen anderer Themen als der Sexualität behandelt werden und dass es am Ende fast immer darum geht.
Ich führe deshalb weiter aus, warum das Konzept der Identität in der Integrativen Therapie für mein Argument revolutionär ist. Die Werkzeuge der Identität sind nicht nur kreativ, was sehr stark mit Emotionen und Sexualität verbunden ist, sie eröffnen auch die Möglichkeit alle Aspekte des Lebens aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten,  je nach dem was der Klient und die Klientin interessant und sinnvoll finden.
Es lädt Klientinnen und Klienten ein, anstatt auf etwas zu beharren oder etwas erzwingen zu wollen. Körperliche Reaktionen, Affekte und Kognition – und die damit verbundene Neugierde – kann sich für neue Nuancen öffnen, statt auf einer strengen und genauen Kategorisierung  zu beharren, einer fixierten Identität. Nach meiner Erfahrung ist es bereits eine Intervention, alle anderen Aspekte des Lebens hervorzuheben, ebenso in einem kontinuierlichen heuristischen Prozess von den Phänomenen auf die Struktur zu schließen, anstatt zu diagnostizieren und zu etikettieren.
Im Folgenden werde ich über Salutogenese und die Konzentration auf Ressourcen und kreative Anpassung sprechen, im Vergleich zum Essentialismus. Die Biologie, der gesellschaftliche Fokus auf die Reproduktion und Institutionalisierung von Gefühlen, haben mir geholfen meine Sehnsucht Mutter werden zu wollen zu akzeptieren und wertzuschätzen, zu dieser Welt zu gehören, Teil der Natur und einer körperlichen Erweiterung zu sein, von Generation zu Generation in die Zukunft hinein, anstatt mich zu schämen oder mit einem verinnerlichten Selbsthass zu leben.
Das „Trauma des Zurückhaltens“ hat die frühere Generation von LGBTQ-Menschen, die nach dem Zweiten Weltkrieg aufwuchs – als Homosexualität verboten und als Krankheit diagnostiziert wurde – stark getroffen. Meine Forschung wird nun mittels  meines neuesten künstlerischen Werkes „Living. Loving“  in den Kinos von ganz Schweden gezeigt. Es porträtiert drei verschiedene Personen, die in Europas erstem Seniorenwohnheim für LGBTQ-Menschen einziehen. Ich toure jetzt mit dem Film und einem Vortrag über das Identitätskonzept einer lebenslangen Entwicklung. Die Grundbotschaft des Films ist, dass wir uns selbst durch den Körper spüren und erleben müssen. Die offene und akzeptierende Haltung der Integrativen Therapie und die ganzheitliche kreative, wissenschaftlich fundierte Vorgehensweise, gehen über Kategorisierungen und Festlegungen hinaus und werden in der klinischen Behandlung von Menschen, die sich als LGBTQ identifizieren, in Zukunft sehr wichtig sein.
Sexuelle Gesundheit erfordert eine bewusste sexuelle Identität. Ich sehe mich heute als  durch Wissen emanzipierte Psychotherapeutin mit einem integrativen Ansatz, offen für jede Variante von Sexualität als natürliche Variante des Menschseins.

Schlüsselwörter: Entwicklung in der Lebensspanne, Salutogenese, Identitätskonzept, LGBTQ, Integrative Therapie.

Additional Reading: Petzold, H. G., Orth, I, (2011): „Genderintegrität“ – ein neues Leitparadigma für Supervision und Coaching in vielfältigen Kontexten. In: Abdul-Hussain, S. (2011): Genderkompetente Supervision. Mit einem Beitrag von Ilse Orth und Hilarion Petzold zu “Genderintegrität”. Wiesbaden: Springer VS Verlag. 195-299. www.fpi-publikation.de/supervision/04-2014-petzold-h-g-orth-i-genderintegritaet-als-neues-leitparadigma-fuer-supervision/

SUMMARY: THE ART OF COMING OUT THROUGHOUT LIFE – an integrative approach to sexual health with a lifespan perspective
I had the first initial thought about the subject matter of this essay when a fellow student advised me to avoid LGBTQ (people identifying as lesbian, gay, bisexual, trans and/or queer) clients in my future therapy practise.
When I initially began my studies, I had a general notion of how I would address being an outspoken lesbian and therapist. Would my open attitude enable me to be the ideal therapist for all future clients? Identifying as a lesbian, ‘coming out’ at the age of 16 when I apparently found my ‘true self’ – from then on belonging to a homogeneous group, I somehow felt limited, suffocated, always on the outside, always fighting against something. As an adult I started to suffer from anxiety, panic attacks and body/back pain, and was emotionally depressed and low on energy.
The approach adopted by integrative therapy – to remain open and accepting – soon inspired and challenged both my fellow student and my own categorical perspective. I became more curious of my sexuality, aware of how it had affected my health and identity. I was able to reach my own body, my senses and connect with my needs and boundaries. I became aware of how my perspective – being politically feminist – but a feminist point of view strongly affected by Freudian sexual theory and psychoanalysis – had certainly stunted my own personal development and had a negative impact on my self-esteem. In turn, I lacked control over my own sexuality.
Adopting an integrative approach – with an interdisciplinary methodology and systematic integration model – was an eye opener. I soon realized it was high time I examined my approach to sexual health, as it could affect my future clients. And perhaps it affected me as well?
In this essay, I illustrate how context affects how we previously considered and still currently think of sexuality with an example from the World Health Organisation’s definition of sexuality. I also address how that definition has altered over time, a sign of how culture affects how we address sexuality. I also introduce the Concept of Identity from an integrative perspective, and examine how one’s personal perspective on life, societal interests and constellations of power and values also impact one’s identity.
Michel Foucault criticises the normative belief that truth lies in sexuality. He argues that in Christianity, confession offers the way to one’s true inner self, and that the manner in which a sexual minority ‘comes out’ (once) is similar to a religious confession. Why confess, when you haven’t done anything wrong?
I further include research on how both therapists and clients are afraid of introducing sexuality into sessions. Therapists often advise clients to seek the help of a sexologist, rather than addressing sexuality in psychotherapy. Research also shows that people often seek treatment for other issues than sexuality, but that eventually sexuality enters the picture.  The Concept of Identity in integrative therapy is revolutionary for my argument. Working with Identity Pales is not just creative – which is very connected to emotions and sexuality – it opens you up, looking at every aspects of life, in the order that the individual client finds it interesting or meaningful. In a multi perspective.
This therapeutic tool invites the client in, rather than insisting or forcing. Bodily-based behaviours, affects and cognition – and the curiosity that accompanies these – can unlock nuances instead of providing stringent, strict categorisation, forcing a person to accept a fixed identity. In my experience, highlighting all aspects in life is in itself an intervention. The overload of the sexual identity and the culture, language and history can be a lot to carry for the unique Body subject. Being aware of the phenomena becoming a structure in a constantly heuristic process, rather than diagnosing or labelling is a healing process in my opinion. Especially in a time where feelings and sexuality is politic – because it is a question of human rights and equality.
I go on to discuss Salutogenesis and the focus on resources and creative adjustment as compared to essentialism and biology, the way in which society focuses on reproduction and institutionalising feelings.
When I got a grip on how I was strongly influenced by a feministic point of view focusing on essentialism, biology and reproduction, I did not any longer feel ashamed of my longing to become a mother in an “alternative way”, to belong to this world, to be a part of nature, connecting generation to generation and to the future.
But I had to “come out” again as a lesbian mother. The trauma of “holding back” has strongly impacted the older generation of LGBTQ individuals – those born just after WWII – when homosexuality was forbidden and individuals were diagnosed with an illness. I researched this in my latest film Living. Loving, which is now screening in cinemas throughout Sweden. In it, I tell the story of three people living in Europe’s first retirement home for LGBTQ people. When on tour with the film, I lecture on the concept of identity as viewed from a lifespan developmental approach.
The open, accepting attitude of integrative therapy and its integrating, holistic, creative, scientifically rooted methodology exceeds categorisation. It will become crucial in the future when clinically treating people identifying as LGBTQ.  Sexual health requires us all to take a deliberate approach to our sexual identity. I now consider myself to be an emancipated individual fortified by research and knowledge. As a psychotherapist, I adopt an integrative approach, encouraging everyone to become aware of their sexuality as a natural part of themselves, something affecting all aspects of becoming a healthy person.

Keywords: Lifespan Development, Salutogenesis, Identity Concept, LGBTQ, Integrative Therapie.

Aditional Reading: Petzold, H. G., Orth, I, (2011): „Genderintegrität“ – ein neues Leitparadigma für Supervision und Coaching in vielfältigen Kontexten. In: Abdul-Hussain, S. (2011): Genderkompetente Supervision. Mit einem Beitrag von Ilse Orth und Hilarion Petzold zu “Genderintegrität”. Wiesbaden: Springer VS Verlag. 195-299. www.fpi-publikation.de/supervision/04-2014-petzold-h-g-orth-i-genderintegritaet-als-neues-leitparadigma-fuer-supervision/

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