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EDITION DONAU-UNIVERSITÄT KREMS
INTEGRATIVE THERAPIE
Zeitschrift für vergleichende Psychotherapie und Methodenintegration
Aus Heft 2008, 4 ‚Kulturelle Evolution und Psychotherapie‘
Seite 443 – 464

Zur Rehabilitation von Narziss – Mythos und Begriff 

Klaus Schlagmann

 

Zusammenfassung: Zur Rehabilitation von Narziss. Mythos und Begriff
Der schöne, selbstbewusste Narziss stirbt beim Betrachten seines Spiegelbildes an einer Quelle. Das konkrete Geschehen wird in der Antike unterschiedlich dargestellt: Einerseits verzweifelt Narziss am Verlust geliebter Angehöriger bzw. an der eigenen Vergänglichkeit, andererseits verzweifelt er an der Aufdringlichkeit ungeliebter Menschen. Schon bei der Schöpfung des Begriffes „Narzissmus“ herrscht ein heftiges Durcheinander zwischen Ellis, Näcke und Freud. Freud selbst klagt bereits über Unklarheiten des Konzeptes. Diese Klage setzt sich bis heute fort – ohne dass sich an der Situation etwas geändert hätte. Exemplarisch zitiere ich das konkrete Verständnis von „(primärem) Narzissmus“ bei Müller-Pozzi, Asper und Kernberg: Kleinkinder oder Erwachsene bekommen recht unsympathische Eigenschaften attestiert, ohne dass die Plausibilität der Vorwürfe überprüft oder die Entstehungszusammenhänge mit reflektiert würden. Meine Befürchtung: Menschliche Leidensgeschichten werden dabei systematisch missverstanden, Opfer zu Tätern gestempelt. In diesem Missverstehen spiegelt sich ein alter, bislang ungelöster, gravierender „Flüchtigkeitsfehler“ der seinerzeit mit revolutionärem Elan vorangetriebenen Psychoanalyse.

Schlüsselwörter: Narziss, Narzissmus, Mythos, Trauma, Begriffsgeschichte

 

Summary: On the Rehabilitation of Narcissus. Myth and Concept
The handsome and self-confident Narcissus dies at a well, looking at his reflected image. The concrete events are described in different versions in ancient times. On the one hand, Narcissus despairs of the loss of beloved family members and of his own transitoriness respectively. On the other hand, he despairs of the importunity of unloved others. Right from the creation of the concept of „narcissism“, there is a vast confusion between Ellis, Näcke and Freud. Already Freud himself deplores the obscurity of the concept. This complaint continues to date – and nothing has changed about the situation yet. I cite the concrete comprehension of „(primary) narcissism“ of Müller-Pozzi, Asper and Kernberg: Infants or adults are credited with rather disagreeable attributes, but the plausibility of the reproaches is not looked-over, the context of the development not reflected. My apprehension: stories of human suffering are systematically misunderstood, victims are blamed to be the offenders. This misunderstanding reflects an old, up to now unresolved, grave „slip“ of psychoanalysis, which has then been promoted with revolutionary verve.

Keywords: Narcissus, narcissism, myth, trauma, history of conception

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