POLYLOGE
Materialien aus der Europäischen Akademie für psychosoziale Gesundheit
Eine Internetzeitschrift für „Integrative Therapie“
Ausgabe 21/2006
Das Leben soll gelingen – Elemente der „Integrativen Ethik“ von Hans Krämer und die Integrative Therapie
Gerhard Wittkugel
Zusammenfassung:
Das Leben soll gelingen – Elemente der „Integrativen Ethik“ von Hans Krämer und die Integrative
TherapieSchlüsselwörter: Integrative Ethik, Lebensart, Integrative Therapie, Philosophische Beratung, Ethiktheorie
Summary:
Live shall be a success – elements of “Integrative Ethics” in Hans Krämer and in Integrative Therapy
Keywords: integrative ethics, art of living, integrative therapy, philosphical councelling, theorie of ethics
Abstrakt
Diese Arbeit untersucht inwieweit der Entwurf einer „Integrativen Ethik“ von Hans Krämer (1992/1995) für die Integrative Therapie anschlussfähig und dann auch Impuls gebend sein kann. Dazu werden zunächst Stellung und zentrale Konzepte der Ethik wie Intersubjektivität und „Andersheit des anderen“ im Theoriegerüst des „tree of science“ der Integrativen Therapie untersucht, ihre Ethik wird als „diskursiv, situativ-historisch und mutual“ (Petzold) erläutert. Besonderer Wert wird dabei auf die Gründung der Ethik in der Anthropologie gelegt. Schließlich postuliert die Arbeit eine doppelte Funktion der Ethik in der therapeutischen Praxis: Ethik bedenkt fundamental das Verhältnis von TherapeutIn und KlientIn, sucht damit beider Würde und Eigenständigkeit zu bewahren und sie spielt eine Rolle bei Lebensfragen der KlientInnen in denen die TherapeutIn keinesfalls immer abstinent sein kann und wird.
Krämers Ethik bietet den bisher einmaligen Versuch, moderne Strebensethik und sollensethische Moralphilosophie in einen mehrperspektivischen ethischen Entwurf zu integrieren. Die seit Kant vorherrschende Sollensethik wird von Krämer als einseitig erkannt und durch eine Ethik der Lebenskunst ergänzt. Beide gemeinsam bilden nach Krämer erst das Ganze einer Ethik, sie begründen und begrenzen einander. Die Art der Integration in Krämers Ansatz wird in dieser Arbeit mit den Kategorien Petzolds als in weiten Teilen „starke“ Integration (dialektische und emergente Integration) und damit als anschlussfähig für die Integrative Therapie aufgezeigt.
In postteleologischer Zeit ist nach Krämer eine Strebensethik im antiken Sinn nicht einfach reaktivierbar, die Strebensziele sind heute vielfältig und individuell. Zentrale Kategorie wird deshalb für Krämer die des Könnens; Können wird zum „Primärgut erfüllten Lebens“ (Krämer). Unerfülltes, ungelingendes Leben entsteht durch „Hemmung“, die zugleich als anthropologische Grundtatsache wie auch als zu Überwindendes angesehen wird.
Die Krämersche Hemmung wird nun in Beziehung gesetzt zum zentralen Konzept der „multiplen Entfremdung“ in der Integrativen Therapie. Es zeigt sich, dass Begriffe wie „Pathogenese und Salutogenese in der Lebensspanne“ und Modelle der Integrativen Therapie wie das von Narration und Narrativ wesentlich differentieller, Erkenntnis leitender und hilfreicher für den Umgang mit KlientInnen scheinen, als der Krämersche Begriff der „Hemmung“, weil sie in der Lage sind, sowohl das Lebensganze als auch das je eigene und aktuelle in den Blick zu nehmen und daraus Handlungsoptionen für TherapeutIn und KlientIn zu entwickeln.
Die wesentlich lohnenderen Impulse Krämers für die Integrative Therapie liegen nach Meinung des Verfassers in der Erweiterung und Konkretisierung der Ethiktheorie: Die Integrative Therapie kann um der Würde der beteiligten Menschen willen nicht auf diskursive Elemente in ihrer Ethik und in ihrer therapeutischen Praxis verzichten. Allerdings werden wie in jeder menschlichen Interaktion auch in der therapeutischen Arbeit in hohem Maß Werte selbstverständlich übernommen, als gesellschaftlich gegeben vorausgesetzt und nicht immer neu diskursiven Prozessen unterzogen.
Einen dritten Bereich bilden „ethische Leitprinzipien“, die nach Petzold als eine Frucht vorausgegangener ethischer Diskurse in die Ethik eingehen. Krämers integrativer Entwurf kann helfen, die diskursiven Elemente der Ethik in Theorie und Praxis deutlicher hervor zu heben und zugleich von einer alles umfassenden Funktion zu entlasten, indem sie in Beziehung zu gesellschaftlich „Gesolltem“ und zu wesentlichen Werten des kulturellen Gedächtnisses der Gemeinschaft gesetzt werden und damit eine gewichtige Stellung und zugleich ein Begrenzung finden.
Durch die Integration einer Strebensethik in die Ethik entsteht zudem die Möglichkeit, die bisher eher in der Anthropologie bzw. der Therapiepraxis verwurzelten Elemente der Lebenskunst (z.B. in der Arbeit mit traumatisierten Menschen) deutlich innerhalb einer integrierten Ethik anzusiedeln und damit fest im Theoriegebäude der Integrativen Therapie zu verankern. Die Konzepte einer Lebenskunst-Arbeit innerhalb der Integrativen Therapie können dadurch klarer das Gespräch mit philosophisch-ethischen Konzepten der ars vivendi aufnehmen.
Heute müssen zu Petzolds Positionen seine neueren Arbeiten beigezogen werden:
Petzold, H.G. (2009d): „Macht“, „Supervisorenmacht“ und „potentialorientiertes Engagement“. Überlegungen zu vermiedenen Themen im Feld der Supervision und Therapie verbunden mit einem Plädoyer für eine Kultur „transversaler und säkular-melioristischer Verantwortung“. Bei www.FPI-publikationen.de/materialien.htm –
Petzold, H. G., Orth, I. Sieper, J. (2010a): Gewissensarbeit, Weisheitstherapie, Geistiges Leben – Themen und Werte moderner Psychotherapie. Wien: Krammer.
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